Die vergessenen Westpark Kinder

Die vergessenen Westpark Kinder

Arzenheimer . Veröffentlicht in alles andere, Gesellschaft 1146 Views Keine Kommentare

Exklusive Erna Reportage über ein besonderes Schicksal

Markus ist heute 23 Jahre alt. Und bis heute weiß er nicht, ob er überhaupt Markus heißt. Denn der junge Mann kennt weder seine Eltern noch seinen Geburtsort. Markus ist eines der vergessenen Kinder, die im Einkaufszentrum Westpark zurück gelassen wurden.

Zum Gespräch mit dem Erna Magazin trägt Markus die neuesten Trend-Klamotten, ist perfekt frisiert und top gestylt. Das sind die sichtbaren Auswirkungen eines Lebens im Einkaufszentrum. Der 23-Jährige hat eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen und arbeitet derzeit in einer Modeboutique im Westpark. „Ich hatte versucht, mir ein Leben draußen aufzubauen. Aber es hat nicht funktioniert“, meint Markus. Draußen, damit ist die Welt außerhalb des Shopping-Centers gemeint. Eine Welt die er nur im Rahmen seiner Ausbildung kennen gelernt hat. Aber 80 Prozent seines Lebens verbrachte Markus im Westpark.

WestparkPlaza

 

 

 

 

 

 

 

Es war im Frühling 1996. Der Westpark war erst wenige Wochen alt, da fiel ein kleiner etwa 3-jähriger Junge mit rotem T-Shirt und Jeans auf, der alleine durch das Einkaufszentrum lief. Offensichtlich hatte er seine Eltern verloren. Oder sie ihn. Eine Westpark-Mitarbeiterin nahm sich seiner an und eine Suchmeldung wurde mehrfach über die Lautsprecheranlage des Shopping-Centers abgesetzt. Ohne Resonanz. Niemand holte den kleinen Jungen ab. Auch nicht am nächsten Tag. Und nicht am übernächsten. Und so organisierte sich Markus sein Leben selbst: Essen gabs beim Lebensmittelhändler, Hygieneartikel im Drogeriemarkt, Kleidung in den Modegeschäften. Zum Duschen ging Markus ins Fitnessstudio, zum Schlafen in das Geschäft für Kissen und Bettbezüge. „Ich hatte eine ganz besondere Kindheit“, erinnert sich der junge Mann. Im Lauf der Jahre bekam er weitere „Geschwister“, die ebenfalls von ihren Eltern abgeschoben worden waren. „Zwischendurch waren wir sogar 12 Kinder. Drei davon wurden aber von Verwandten identifiziert und wieder mitgenommen.“ Lesen und Schreiben brachte ihnen eine nette Buchhändlerin bei, Grundkenntnisse in Mathematik holten sich die Kinder an den Kassen diverser Geschäfte und Zeugnisse wurden im Copy-Shop ausgestellt.

Heute ist Markus ein zufriedener, junger Mann, der seinen Eltern keine Vorwürfe macht. „Womöglich habe ich es hier viel besser gehabt,“ meint er. Das Schicksal der kleinen Jasmin, die fünf Jahre im Westpark lebte und dann zu einer streng katholischen Familie musste, die ihr nicht mal das Spielen mit Barbie Puppen erlaubte, wollte er nicht teilen. Markus lebt im Einklang mit seiner Umgebung. Nicht die Jahreszeiten gegen den Takt vor, sondern Schlussverkäufe und Sonderaktionen. Drei Kevins und eine Laura haben eine ähnliche Laufbahn wie er eingeschlagen und stehen kurz vor der Beendigung ihrer Ausbildung. Mit Laura könne sich Markus auch die Gründung einer Familie vorstellen. „Jetzt, wo es im Westpark auch einen Kindergarten gibt, dürfte es viel einfacher werden.“

Foto: WavebreakmediaMicro

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